Bindungshelfer

Immer diese Unruhe

Immer diese Unruhe – oder warum Eltern heute Bindungshelfer brauchen!

Weinende Babys, schlaflose Kinder und nervöse Eltern stehen unter hoher Anspannung. Starke Stressoren eduzieren die natürliche Regulationsfähigkeit des vegetativen Nervensystems und verhindern das innere Gleichgewicht. Was langfristig hilft, ist das Innehalten, das Wahrnehmen der eigenen Bedürfnisse und die Aktivierung der Herzkräfte. Eltern brauchen Muße und Kinder die Langsamkeit, um ihre Bindungsfähigkeit zu regenerieren.

Liebe allein genügt nicht – diese Aussage des Pädagogen und Psychologen Bruno Bettelheim (1903-1990) begleitet mich seit vielen Jahren, in denen ich zu verstehen suchte, was Kinder nervös und Eltern zaghaft macht. Jahre, in denen ich nach Antworten suchte, warum die zärtliche Liebe der Eltern auf quälendes Geschrei und ihre fürsorgliche Zuwendung auf Abwehr trifft.

Was ist geschehen in den letzten Jahrzehnten, in denen die Quote der Schreikinder gleichzeitig mit der Quote der Wunschkinder stieg? Was ist geschehen, dass Eltern heute Bücher lesen, um ihr Kind zu verstehen und im Internet nach den Ursachen seiner Unruhe suchen?
Ich erlebe Eltern meist als sehr motiviert, zugewandt, liebevoll und bestens informiert über pädagogische Trends und psychologische Zusammenhänge, aber auch ständig in der Anspannung, für ihr Kind „das Beste“ tun zu müssen. Dagegen erlebe ich Babys oft als unruhig, angespannt, weinerlich und überreizt und die größeren Kinder als unzufrieden und erziehungsresistent.

Ist dies ein Widerspruch – oder bedingen diese Phänomene einander?

Elterliches Fürsorgeverhalten

Oberflächlich betrachtet sieht es so aus, als wäre den Eltern der Neuzeit die Fähigkeit abhanden gekommen, ihr Baby wirksam zu betreuen und die Kinder wirksam zu erziehen. Gerade bei Eltern, die sich sehr angestrengt bemühen, die Bedürfnisse ihrer Kinder zu erfüllen, wirken diese oftmals „wie verlassen“ und zeigen – bei aller Liebe – deutliche Symptome der Bedürfnisfrustration und Anzeichen eines Bindungsmangels.

Wie ist das möglich?

Durch Bindungsforschung und Verhaltensbiologie ist hinreichend belegt, dass das intuitive elterliche Fürsorgeverhalten genetisch im Menschen veranlagt und somit angeboren ist. Doch lässt die große Unsicherheit der Eltern und ihre stetige Suche nach „noch mehr“ Information darauf schließen, dass ihnen Instinkt und Intuition abhanden gekommen sind. Wie sonst wäre es erklärlich, dass Babys mit eiskalten Füßchen in der Wiege liegen oder bei sengender Sonne ohne Schutz im Kinderwagen sitzen?
Aber können genetisch verankerte Verhaltensweisen „verloren gehen“? Oder ist es eher so, dass sie „nicht mehr zum Zuge“ kommen?

Intuitives Elternsein

Die Erkundung des angeborenen Fürsorgeverhaltens zeigt, wie genau die vom unbewussten Nervensystem gesteuerten Verhaltensweisen das Bindungsgeschehen zwischen Mutter und Kind aufeinander abstimmen, wie fein die biologischen Mechanismen das intuitive Elternprogramm aktivieren und wie festgelegt die emotionale Erwartung des Neugeborenen auf seine kontiunierliche Bedürfnisbefriedigung ausgerichtet ist. Alle diese Feinabstimmungen werden – genau wie Reflexe, Atmung und Puls – gänzlich unbewusst vom Stammhirn gesteuert. Das Kind richtet instinktiv seine angeborene Erwartung nach Bedürfnisbefriedigung an die Eltern (oder an andere vertraute Bindungspersonen) und diese geben intuitiv und einfühlsam die entsprechende Fürsorgeantwort. Dies spielt sich – außerhalb der Wahrnehmung und des Denkens – nach ganz bestimmten Codes ab, die jeder Mensch in sich trägt. Diese Codes verbinden seit hundertausend Jahren Eltern und Kinder miteinander und haben bisher eine sehr wirksame und arterhaltende „Brutpflege“ ermöglicht.

Bei Menschen, die sich ihren Ur-Fähigkeiten noch heute vertrauensvoll überlassen, sehen wir die umfassende Wirksamkeit dieser angeborenen Befähigung. Dabei möchte ich weniger die „natürliche“ Lebensweisen anderer Kulturen als Vorbild preisen, als durch Vergleich mit der „westlichen“ Lebensweise herausfinden, wo unser Problem verborgen liegt.

Menschen im Ein-Klang

Die Menschen, die noch nach angeborener und intuitiver Art leben, finden wir bei den sogenannten Naturvölkern. An ihren fällt die Gemächlichkeit auf, mit der sie die Tätigkeiten des Alltags verrichten, ihre gelassene Art der Kinderbetreuung und ihre wache Präsenz. Der wissenschaftlich geschulte Blick erkennt die Zentriertheit, das sicheres Bindungsverhalten und den überwiegend parasympathisch dominierten vegetativen Zustand dieser Menschen. Medizinische Messwerte würden einen ruhigen Puls, eine gleichmäßige Atmung und einen entspannten Muskeltonus erweisen. Diese Menschen leben im Einklang mit ihren genuinen Bedürfnisse. Die evolutionsbedingte Erwartung an ihre Bedürfnisbefriedigung wird in hohem Maße allein durch ihre Lebensführung erfüllt. Bedürfnisbefriedigung befriedigt den Menschen – es macht ihn friedlich! So stressfrei und friedlich gestimmt ist es für die Erwachsenen einfach, intuitiv auf das Befinden ihrer Kinder einzugehen, deren momentane Bedürfnisse wahrzunehmen, sie instinktsicher zu interpretieren und angemessen und prompt darauf zu reagieren. Die Eltern verhalten sich den Kindern gegenüber genau so, wie es die moderne Bindungsforschung als optimal erkannt hat – sie sind im Ein-Klang und innerlich verbunden.

Menschen im Zwei-Klang

Im Vergleich dazu sehen wir die westlich geprägten Menschen, die mit Tempo durch das Leben eilen, ihre angestrengte Art der Kinderbetreuung, die Unruhe der Kinder und die Unsicherheit der Eltern. Wir sehen die Unzentriertheit, das oft unsichere Bindungsverhalten und den überwiegend sympathisch dominierten vegetativen Zustand. Eine Messung der entsprechenden Werte würde einen erhöhten Puls, eine flache Atmung und einen angespannten Muskeltonus ergeben. Hier sind Menschen, deren Bedürfnisse unzureichend befriedigt sind. Deren Bedürfnisbefriedigung in einem nur geringen Maße mit ihren – immer noch evolutionsbedingten – inneren Erwartungen übereinstimmt. Unbefriedigte Bedürfnisse bereiten jedoch (Dys-)Stress. Dieser Stress verhindert – trotz aller Liebe – das Befinden der Kinder feinfühlig wahrzunehmen und ihre Bedürfnisse (nicht ihre Wünsche) bald und angemessen zu erfüllen. Eltern und Kind befinden sich im Zwei-Klang und sind damit unverbunden.

Nun sagt die Mismatch-Theorie, dass wiederholte oder anhaltende Abweichungen von der angeborenen Erwartung an die Bedürfniserfüllung und die damit einhergehende Frustation nicht nur eine starke Einschränkung der Lebensqualität, sondern auch Verhaltensauffälligkeiten und längerfristig die Gefährdung der Gesundheit zur Folge haben. Darüber hinaus ist noch eine weitreichende Hemmung der natürlichen Bindungsfähigkeit zu beobachten.

Sichere Bindungen

Doch wie hängt die Bindungsfähigkeit mit Bedürfniserfüllung und Lebensqualität zusammen? Die Lebensqualiät ist nicht dann hoch, wenn wir des Öfteren in Urlaub fahren, sondern dann, wenn die naturgegebenen Bedürfnisse (täglich) erfüllt sind. Erfüllte Bedürfnisse führen zu einem emotional und vegetativ ausgewogenen Zustand. Ein ausgewogener Zustand ermöglicht sichere soziale Bindungen. Sichere Bindungen führen zu einer hohen Lebensqualität. Eine positive – sich selbst verstärkende – Dynamik setzt ein …
Wenn die Bedürfnisse nur mangelhaft erfüllt sind – was den genuinen Erwartungen nicht entspricht – dann führt das längerfristig zu einer vegetativen und emotionalen Unausgeglichenheit. Die damit einhergehende körperliche Anspannung reduziert die Bindungsfähigkeit. Unsicheres Bindungsverhalten und ungewisse Beziehungen sind die Folgen. Die wenig tragfähigen Bindungen vermindern wiederum die Lebensqualität. Diesmal entsteht eine negative Dynamik …
Das autonome Nervensystem spielt bei der Entstehung und Gestaltung unserer Bindungen also eine entscheidene Rolle. Das menschliche Bindungsvermögen ist – wie alle anderen körperlichen Funktionen auch – von den vegetativen Prozessen und damit von bestimmten physiologischen Voraussetzungen abhängig. So gibt es bindungsaufbauende und bindungsverhindernde körperliche Zustände – ausgelöst durch innere oder äußere Faktoren – die einen unmittelbaren Einfluss auf das momentane Entstehen von Bindung zwischen Mutter und Kind haben.

Parasympathikus und Bindungsaufbau

Der parasympathische Zweig des autonomen Nervensystems initiiert Entspannung. Er sorgt dafür, dass wir aufnahmefähig, zentriert und gefühlsorientiert sind. Unter dem Einfluss des Parasympathikus ist der Mensch warm, weich, ruhig, einfühlsam und friedfertig gestimmt. Die Aufmerksamkeit ist nach innen, auf sich selbst, auf die Mitte, auf das Herz gerichtet. Ruhe und Verdauung – auch die der äußeren Reize – setzen ein. Die Lebensenergie strömt vorrangig nun einwärts zur Mitte – hin zum Zentrum, hin zum Herzen. Sie hat dadurch eine anziehende – also bindungsaufbauende – Wirkung. Der Mensch kommt sich und seinem Kind nahe. Nun findet Bindung statt – das Kind schmiegt sich an die Eltern. Deutlich wahrnehmbar verlangsamen sich die vegetativen Prozesse. Auch Bewegung und Sprache werden ruhig, langsam und weich – eine innige, verlangsamte und zu Herzen gehende Atmosphäre breitet sich aus. Für den Betrachter ist es bewegend zu erleben, wie die Zeit für einen Moment „still steht“ und Eltern und Kind von kontemplativer Innigkeit umfangen sind. Ein heiliger Moment.

Sympathikus und Bindungsabbruch

Der symathische Zweig des vegetativen Nervensystems dagegen initiiert Spannung. Er macht uns ausdrucksfähig, dezentriert und bewegungsbetont. Unter der Dominanz des Sympathikus ist der Mensch aktiv, schnell, erobernd, ausgreifend und geht bei Bedarf kämpferisch in Verteidigungsposition oder Abwehrhaltung. Die Aufmerksamkeit ist nach außen, der Welt und dem Denken zugewandt. Neue Reize werden gesucht, Ideen in Aktivitäten umgesetzt. Die Lebensenergie strömt vorrangig von der Mitte nach außen – weg vom Zentrum, weg vom Herzen. Dieses dynamische Nachaußen-gerichtet-sein hat eine wegschiebenden Wirkung. Jetzt findet Autonomie statt – das Kind bewegt sich auf die Welt zu. Eine Beschleunigung der vegetativen Prozesse tritt ein. Bewegung, Sprache und Gedanken werden dynamisch, schnell und fest. Eltern animieren ihr Kind zu Leistung, zu Spiel, Spaß und Sport.

Beide Befindlichkeiten sind notwendig für die Entwicklung und die Gesundheit: Hier die Verlangsamung, das niedrige Erregungsniveau und die Bindung – dort die Beschleunigung, das hohe Erregungsniveau und die Autonomie. Wenn wir ausgewogen zwischen diesen beiden Polen – der parasympathikotonen „Herzdominanz“ und der symathikotonen „Hirndominanz“ hin und her schwingen, befinden wir uns im Lot. Dann sind wir gesund, aktiv und bindungsfähig. Ist jedoch das Auswärts-gerichtet-sein von dauerhafter, hektischer und nervöser Erscheinung, wirkt das bindungsverhindernd. Im Dys-Stress kommt es zu einer – meist unbewussten – energetischen Abwehrhaltung. Der Bindungsvorgang wird unterbrochen.

Die Regulationsfähigkeit

Um noch einmal zu den ethologischen und ethnologischen Vergleichen zurückzukehren: In den Naturvölkern leben Menschen, die durch ihr hohes Maß an „echter“ Bedürfnisbefriedigung sehr flexibel und elastisch zwischen den beiden Polen wechseln können. So ist ihre (Bindungs)Bilanz weitestgehend ausgeglichen. In unserer Kultur müssen die Menschen mit einem sehr geringen Grad ihrer Bedürfnisbefriedigung zurechtkommen. Unbefriedigte Bedürfnisse jedoch wirken auf den Organismus bedrohlich und machen ihn in Sekundenbruchteilen entweder kampf- oder fluchtbereit. Das führt zu starken Emotionen, zu hoher Körperspannung und einer Rigidität, die das elastische Schwingen zwischen den beiden Polen stark einschränkt. So bleibt der westliche Mensch der symathikoton dominierten Lebensweise verhaftet und ist seitdem „Auf der Suche nach dem verlorenen Glück …“ (Jean Liedloff 1977)

Für Eltern bedeutet das den Verlust ihrer Intuition. Ihr Sympathikus hält sie auf hohem Anspannungs- und Erregungsniveau – anstelle des Herzens dominiert nun der Verstand. Den Blick fortwährend nach außen gerichtet, wenden sie sich unentwegt ihren Kindern zu und stellen sie in den Mittelpunkt ihrer „hyperaktiven“ Bemühungen. Für Kinder bedeutet das den Verlust ihrer Bindung. Von der Natur mit einem extrem starken Bindungsimpuls ausgestattet, wollen sie sich an ihre Eltern binden – doch die sind „nicht da“! Die sympathikotonen Eltern sind ununterbrochen (gedanklich) unterwegs und ständig damit beschäftigt, das Optimale zu suchen, zu wollen und zu tun.

Das Drama der perfekten Eltern

Was Eltern und Kindern heute fehlt, ist das einfache Da-sein, das Anhalten, das Nichts-tun, das Ankommen, der längst überfällige Wechsel in den warmen, weichen, fließenden, parasympathikotonen Herz-Zustand. Was fehlt, ist die Muße.
Erst durch das Inne-halten – das-Innen-drin-anhalten – hat das Kind die Gelegenheit, mit seinem Bindungsbedürfnis bei den Eltern anzukommen. Erst wenn die Eltern „endlich einmal stehen bleiben“ kann das Kind „andocken“ und sich ganz allmählich mit Bindung „auftanken“. Dies ist ein Vorgang von ausgeprägter Langsamkeit.

Keine Zeit für Langsamkeit

Unsere westliche Lebensweise und die unbedingt notwendige Bedürfniserfüllung (siehe unten) stehen oft im Gegensatz oder schließen einander sogar aus. Was dies für die Lebensqualität und für unsere Gesundheit bedeutet, mag jeder für sich bedenken. Was wir gesellschaftlich aber dringlich beachten müssen, ist die weitreichende Einbuße des intuitiven Fürsorgeverhaltens und der angeborenen Bindungsfähigkeit. Denn das ist eine menschliche Katastrophe. Die primäre Bindung an die Mutter – und später an weitere Bezugspersonen – ist das elementarste Grundbedürfnis des Menschen. Wenn hier – trotz aller Liebe – „Versorgungslücken“ entstehen, so hat das erhebliche Folgen für die gesamte Entwicklung des Kindes, für sein Sozialverhalten und für seine zukünftige Glücks- und Beziehungsfähigkeit. Diese Versorgungslücken entstehen immer dann, wenn der betreuende Erwachsene – bedingt durch Zeitdruck, Ängste oder sorgenvolle Gedanken – starr in einem symathikotonen Erregungszustand verbleibt und seinen ruhigen nährenden Pol nicht mehr aufsuchen kann. In einer „ganz normalen Familie“ mit ihrem „ganz normalem Alltagsstress“ also täglich mehrfach.

Dann liegt in dieser Familie – in der die Kinder aufrichtig geliebt werden – ein täglich wiederkehrender Bindungsnotstand vor. Nicht, weil die Eltern etwas „falsch“ machen, sondern weil der stressreiche Alltag durch sein Tempo, seine Ängste und kreisende Gedanken symathikoton überlagert ist und damit den weichen Übergang in den parasympathikotonen bindungsbereiten Zustand vereitelt. Es gibt in unserem schnellen Leben „keine Zeit“ mehr für die äußerst langsamen Bindungsströme.

Viele Eltern ahnen diese Zusammenhänge und geben sich redliche Mühe „zur Ruhe“ zu kommen. Doch das gelingt ihnen oft nur scheinbar. Innerlich vibriert die Unruhe und rasen die Gedanken weiter – doch lassen sich weder das vegetative Nervensystem noch die Kinder täuschen. Schon allein das besorgte Nachdenken darüber, was jetzt wohl das Richtige wäre, versetzt die Eltern wieder in den symathikotonen Zustand der „Hirndominanz“, des Nach-außen-gerichtet-seins. Das Kind aber kann sich nur in der „Herzdominanz“ an sie binden.

Bindungsarmut

Unzureichend befriedigte Bedürfnisse verursachen großes Unbehagen. Das unbeantwortete Bedürfnis nach Bindung ist jedoch extrem bedrohlich und löst tiefsitzende Angst aus. Der Sympathikus ist dadurch dauerhaft aktiv. So angespannt und verängstigt zeigt das Kind eine Reihe von Symptomen: Unruhe, exzessives Schreien, Steifheit, Einschlaf- und Durchschlafstörungen, Überreizung, Stillprobleme, Koliken, Kiss-Syndrom, Zentrale Koordinationsstörungen, Entwicklungsverzögerung oder -beschleunigung können die individuellen Folgen sein. Das Kind „steht unter Strom“ – so wird es heute weder schlafen noch morgen kooperieren können. In dieser Abwehrhaltung wird es sich künftig weder „bilden“ noch „erziehen“ lassen. Bei Erwachsenen zeigen sich der symathikotone Überhang und die daraus entstehende Anspannung unter anderem in Perfektionismus, in extremen Ansprüchen an sich und andere und durch ein übermäßiges Bemühen um das Kind. Die Angst – vielleicht die Angst, etwas falsch zu machen – zeigt sich in ständiger Sorge, kreisenden Gedanken und innerer Unruhe. Der Verlust der Intuition wird sichtbar durch den unentwegt forschenden Blick auf das Kind und durch einen nicht zu sättigenden Informations- und Wissenshunger nach dem, was „richtig“ wäre. So leben Eltern hier und heute in der spannungsreichen Symathikusdominanz. Angespannte Eltern sind jedoch immer bindungsschwache Eltern. Keine Muße – keine Bindung. Das kann auch die Liebe zum Kind nicht ändern.

Die Herausforderung

Die vegetative „Hirndominanz“ ist weder mit „heißen Tipps“ noch durch wohlmeinende Ratschläge positiv zu beeinflussen. Aber jede Familie kann – eventuell mit entsprechender Hilfe – diese Dynamik durchbrechen. Um die Ausgewogenheit wieder herzustellen, benötigen die Betroffenen die für sie richtige – auf die jeweilige Symptomatik abgestimmte – Unterstützung. Individuelles kann nur individuell betrachtet werden. Langfristig bleibt jedoch nur, unsere gesellschaftlichen Denk- Handlungs- und Lebensweisen zu hinterfragen. Das heißt nun nicht „zurück in den Urwald“, sondern fordert uns auf – innerhalb unseres modernen Umfeldes – die Nischen der Muße und der Langsamkeit zu schaffen, in denen Bindung sich vollziehen kann.
Die Primäre Prävention allerdings stellt drängende Forderungen an unsere bindungsverarmte Gesellschaft.

Die Zeit ist reif für

► Bindungsfördernde Schwangerenbegleitung
► Bindungsfördernde Geburtshilfe
► Bindungsfördernde Wochenbettbetreuung

Die von WHO und Unicef initiierte Zertifizierungsmöglichkeit zum babyfreundlichen Krankenhaus ist schon ein großer Schritt in die richtige Richtung, doch auch Stillen allein genügt nicht … Die Primäre Prävention braucht Eltern, Hebammen, Psychologen, Therapeuten, Mediziner und Pädagogen, die die vegetativ gesteuerten Bindungsprozesse des Körpers kennen und sie zum Wohle der Beziehungen und ihrer elternbegleitenden Arbeit wirksam zu nutzen verstehen.

Sie braucht

► Bindungsorientierte Elternbegleitung
► Bindungsorientierte Elternbildung
► Bindungsorientierte Erziehungsmodelle

Vielleicht ist die Zeit bald reif, neben die „Entbindungshelfer“ nun die „Bindungshelfer“ zu stellen. Einen neuen notwendigen Beruf der Helfenden zu erschaffen, die Eltern nicht nur unterstützen, in eine ausgewogene vegetative Pulsation zu gelangen, sondern sie auch die Gesetzmäßigkeiten der haltgebenden Erziehung lehren. Helfer, die die Eltern bestärken, den Unterschied von Liebe und Bindung und den von Wunsch und Bedürfnis kennen und beachten zu lernen.
Begleiter, die von der äußerlichen überaktiven Zuwendung zum innerlichen Zusichkommen, zur Verlangsamung und zum Herzkontakt überleiten. Diese Helfenden würden die Eltern darin unterstützen, ihre innerliche vegetative Ausgewogenheit wiederzufinden. Dann kämen die Antworten auf die Anforderungen des Lebens und Erziehens wieder aus dem eigenen Herzen. Dann würde sich auch nicht mehr die Frage stellen, ob „jedes Kind schlafen lernen kann“ (Kast-Zahn/Morgenroth 2007), sondern ob jedes Kind einen warmen, weichen, ruhigen Platz am Herzen seiner Eltern findet, an dem es endlich ankommen und sich sicher binden kann.

Die Broschüren von Brigitte Hannig sind auch direkt zu beziehen über:

Brigitte Hannig
Hebamme, Früherziehungsberaterin und Festhaltetherapeutin
Beratungspraxis für frühe Probleme
Wiesenstr. 11
40878 Ratingen